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Eugène Emmanuel Viollet-le-Duc und Edmond Duthoit
Kunstherhaus Wien 13/09/1996

(Paris 1814— Lausanne 1879, Amiens 1837—1889), Entwurf
Tricot & Jeancourt (Paris), Ausführung

HÄNGESCHRANK, SITZMÖBEL UND TISCH
1869
Holz, weiß lackiert und bemalt
Schrank 195 x 127 x 42 cm, Bänke 65 x 120 x 34 cm, Stuhl 110 x 47 x 47 cm, Tisch 73 x 70 x 120 cm
Mazères, Château de Roquetaillade, Gironde, Vicomtesse J. P. de Baritault du Carpia.

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Einer mittelalterlichen Burg im Medoc stellte ein Neffe Papst Clemens' V. zu Anfang des 14. Jahrhunderts eine zweite zur Seite. Mit der Bitte um Ausbau dieses „Château Neuf” zu einem bewohnbaren Schloß wandten sich die Besitzer 1864 an den berühmtesten historistischen Architekten und Denkmalpfleger seiner Zeit, der kurz zuvor mit der Restaurierung des etwa gleichzeiti¬gen Schlosses Pierrefonds für Napoleon III. begonnen hatte. Obgleich er die Bauausführung an seinen jüngeren Mitarbeiter Edmond Duthoit abgab, trägt neben Architektur und Bauplastik auch ein Teil der Raumgestaltung die Handschrift des Meisters, von ornamentalen Wandmalereien über Plafonds bis zu Möbeln. Auf farbig angelegten Entwürfen für die Räume hat Rosalind de Baritault Signaturen Viollet-le-Ducs ausgemacht.

Wichtig für den Gesamteindruck ist die Auffassung jedes einzelnen Raums als Einheit, in der Farben und Ornamente aller Teile aufeinander abgestimmt sind und in der die Möbel feste, fast immer der Wand zugeordnete Plätze, manchmal auch unbewegliche Sockel haben. Zu seiten des zentralen Eßsaals liegen das auf Dunkelgrün gestimmte Herrenzimmer und die fast identisch möblierte„chambre rose” für die Dame des Hauses, in der die Grundtöne Elfenbeinweiß und Rosa sind, mit feinen linearen Ornamenten in Rot, Blau, Grün und Gold. Vorallem die Vorliebe für einfacheflorale Ornamente in der Dekoration scheint im Hinblick auf das „aesthetic movement” um William Morris Avantgardecharakter zu haben.

An den Möbeln sind sehr betont funktionale Konstruktion und historisierender Schmuck verbunden. Details sind Illustrationen und Maßgaben von Viollet-le-Ducs „Dictionnaire” entnommen, so die Zinnenbekrönung des wandhängenden Schranks der Abbildung des mittelalterlichen Schranks aus Noyon. Die kleinen Bänke in den tiefen Fensternischen lassen sich als funktionalere, da theoretisch mobile Varianten mittelalterlicher Steinbänke ansehen, zu deren Schmuck Chorstuhlwangen die Inspiration geliefert haben könnten.

 

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